Interessierst Du Dich für Fotos im Stil der 90er Jahre? Das trifft sich gut, denn da bin ich Expertin: In den 1990ern verbrachte ich meine Grundschulzeit und die ersten Teenagerjahre!
1990 fiel die Mauer, Deutschland war wieder vereint. Ich kam in die erste Klasse und war ganz vernarrt in das “Pfief-Lied”, wie ich es nannte, also “Wind of Change” von den Scorpions. Dieser Wind der Veränderung war auch in der Gesellschaft zu spüren. Es herrschte das Gefühl vor, dass alles möglich war und einem die ganze Welt offen stand.
Zukunftsängste? Gab es nicht!
Grenzen? Fiktive Linien, die überschritten werden wollten, um neue Welten zu erkunden.
Subkulturen? Dazu da, um sich selbst auszutesten.
“Man hatte noch viel mehr Möglichkeiten und Freiheiten, sich selbst auszuprobieren und das Leben zu feiern”, schreibt Sebastian Lehmann in “Ich war jung und hatte das Geld”. Noch nie zuvor war die Vielfalt von Subkulturen, die friedlich nebeneinander existierten, größer als in den 90er Jahren. Nur eine Gruppierung mochte keiner: die Neonazis.
Denn keine in Deutschland lebende Generation wurde derart “multi-kulturell” sozialisiert wie heutige Jugendliche [der 90er]. Die Ablehnung von Neonazis und Rassismus ist ein zentraler Image-Wert fast aller gegenwärtigen Jugend(musik)kulturen von Punk und HipHop über Hardcore und Grunge bis zu House und Techno. Acht von zehn Jugendlichen wollen mit Rechtsradikalen und Gewalttätern nichts zu tun haben (SHELL-Studie, 1997; nach Farin 1998: 12)
Schade, dass sich dieser Zeitgeist nicht erhalten hat. Ich muss ganz ehrlich sagen: Bei den Entwicklungen der 2020er Jahre stellen sich mir die Nackenhaare auf! Aber das ist ein anderes Thema. Schnell zurück in die 90er Jahre…
||||| 1990er Jahre: Multi-Kulti |||||
Die Mode der 90er Jahre
Der 90er-Style war preppy und schrill. Er war R’n’B, Pop, Grunge und Techno vereint. Besonders beliebt waren kurze, enge Tops und Kleider, Miniröcke, Latzhosen, Slip Dresses (wahlweise auch über T-Shirts), Karo-, Leo-Muster und Schlangenprints. Viel bauchfrei, manchmal nur ein zum Dreieck gefaltetes Tuch, das im Rücken verknotet wurde. Piercings und Tätowierungen wurden salonfähig. Eine Weile lang waren Tribals der Renner, besonders über dem Po. Letzteres hatte dann aber bald den Ruf, “billig” zu wirken und wurde verächtlich “Ar***geweih” getauft.
Am Hals anliegende Choker-Halsketten (gerne im Tattoo-Stil), knallige dicke Haargummis und schmale Sonnenbrillen mit farbigen (Plastik-) Gläsern setzten die Jugendlichen als Accessoires ein. Riesige Ohrringe, zum Beispiel Creolen. Farbige oder hellere Strähnen im Haar. Dünn gezupfte Augenbrauen zu übermäßig viel Lidschatten und Eyeliner. Und dann gab es noch den so genannten Girlie-Stil, für den sich Sängerinnen wie Lucielectric oder Gwen Stefani wie Schulmädchen kleideten.
Kannst Du Dir nicht richtig vorstellen? Kein Problem: Hier und am Ende der Seite findest Du den Link zu meiner Bildersammlung bei Pinterest. Du brauchst also nichts mühsam googeln, auch nicht die Looks der 90er Jahre Stars!
Ich war fast überall mit dabei, denn ich liebte experimentieren! Es gibt kaum Bilder, weil es gab noch keine Handys mit Kamera. Aber ich habe zwei Fotos vom Passbildautomaten am Bahnhof gefunden, die ich Dir nicht vorenthalten will (sie sind aus dem Jahr 2000, aber vom Look her kommt es hin):
Festnetz, Telefonzellen und das Internet
In der Grundschule sammelte ich Sticker und Schnullis aus Plastik. Letztere kamen an eine Schnur und wurden um den Hals getragen. Damals hatten wir keine Handys zur Verfügung, sondern nur Schnurtelefone, zuhause in den eigenen vier Wänden. Waren wir unterwegs, nutzten wir Telefonzellen, in die erst Münzen und später Telefonkarten gesteckt wurden.
Internet gab es dann erst ab 1993. Verrückt, oder? Es war aber noch furchtbar langsam, genau wie die Computer: Anmachen, erst einmal duschen gehen, anmelden, schminken, während das Ding vor sich hinrödelte. Viel ging da anfangs sowieso nicht: Texte abtippen, auf Diskette speichern und Frogger spielen. Wobei… vielleicht lag das auch an dem alten PC, den ich von meinem Vater bekommen hatte? Möglicherweise war der noch aus den 80ern? Der Rechner meines Vaters hatte dann Internet. Aber auch das war langsam: Seite aufrufen, ewig laden… Puh!
Eurodance, Boygroups und Girlgroups
Musik lief nicht nur im Radio, sondern auch bei Musiksendern wie MTV und VIVA im Fernsehen. Eurodance / Dancefloor war ganz groß, eine Mischung aus HipHop und elektronischer Musik. Mich prägten Bands wie Dr Alban, Culture Beat und Snap! Hautfarbe war völlig irrelevant: Hier verschwanden Grenzen, nicht nur zwischen den Musikgenres.
Was noch? Ahja genau: Boygroups – DAS Phänomen der 90er Jahre! Begonnen hatte der Hype schon mit New Kids on the Block Ende der 80er Jahre. Und der Höhepunkt der reinen Männergruppen für Teeniegirls war definitiv mit Take That erreicht. Die beiden Bands habe ich jedoch nicht richtig mitbekommen. Ich hatte mit 11/12 Jahren massig Brieffreundinnen (so etwas gibt’s wahrscheinlich heute gar nicht mehr). Eine war ganz aufgelöst, weil sich Take That 1996 trennten und ich fragte sie ernsthaft: “Wer ist Take That?” Die Arme, es tut mir leid! Ich ignorantes kleines Mädchen! Dafür spann ich dann voll auf die Backstreet Boys und plakatierte mein Zimmer mit ihren Postern.
In Gedenken an meine Teenie-Tage habe ich ein männliches Modell zu einem Boygroup-Mitglied gemacht. Und ihn natürlich gemäß der Boygroup-Tradition sexy präpariert. Mit offenem Hemd, nassem Oberkörper und verwuschelten Haaren. Kennst Du das Video zu “Quit playing Games”, wo sie am Ende halbnackt im Regen herumspringen? An so etwas dachte ich dabei. (Ich kann’s jetzt nicht mehr anschauen – muss so lachen! Ist das krass!!!)
Kommen wir zu den Girlgroups, die als Reaktion darauf entstanden (aber irgendwie die gleiche Zielgruppe ansprachen). Meine Klassenkameradinnen mochten die Spice Girls und Tic Tac Toe. Die waren aber nicht mein Ding. Ich bevorzugte All Saints, TLC und Destiny’s Child. Und andere Black & Soul-Größen wie Mariah Carey, Christina Aguilera, Toni Braxton, Aaliyah und Jennifer Lopez.
Aber ich hörte durchaus auch härtere Sachen – und das schon recht früh! Als ich zehn Jahre alt war (1994), hatte ich mir mit meiner damaligen besten Freundin fasziniert das Musikvideo zu “Zombie” von The Cranberries angesehen. Von dem Song war ich richtiggehend besessen! Und ich mag ihn immer noch – was ich jetzt von den Backstreet Boys nicht behaupten kann…
Nirvana und der Grunge-Look
In dem Jahr, in dem “Zombie” erschien, brachte sich auch Kurt Cobain um. Drei Jahre zuvor hatte seine Band Nirvana das Album “Smells like Teen Spirit” herausgebracht und damit sowohl Grunge-Musik als auch den Grunge-Look etabliert. Während die Haare immer länger wurden, wurden die Hemden immer karierter. Das Flanellhemd war das optische Erkennungszeichen. Zerfetzte Jeans, verschmiertes Make-Up oder Stoppelbart: Alles musste ein wenig schäbig aussehen. Nach Cobains Tod hielt sich der Trend noch eine Weile, ging jedoch Ende der 90er nach und nach unter. (Aber die Hipster entdeckten die karierten Flanellhemden ja dann wieder.)
Tatsächlich habe ich ein Fotoshooting im Grunge-Stil gemacht! Es heißt “Gorgeous Grunge” und ist eine Hommage an Kurt Cobain. Enjoy!
HipHop und die Baggy Pants
Wer es mit dem Grunge nicht so hatte, ließ sich von der Hiphop-Welle modisch inspirieren. Man sah immer mehr Jugendliche mit extrem weit geschnittenen Hosen, den so genannten Baggy Pants. Auch Skater entschieden sich für diese Variante. Oft hingen die Dinger so. tief, dass die Boxershorts rausschauten. Mitte der 90er galt das als überholt und die Mode wurde wieder körperbetonter. Wenn Du mehr über HipHop erfahren möchtest, klick auf die Collage hier:
Techno und die Raver-Szene
Mit dem Aufkommen von Computern etablierte sich ein weiterer neuer Musikstil: Techno und Rave-Partys waren laut, schnell und mechanisch. Umso bunter und fantasievoller waren die Party People gestylt: Plüschrucksäcke, bunte Plastikblumen im Haar, grelle Neonkleidung und Gasmasken waren der Renner.
Auch Raver trugen weite Hosen, wenn auch anders geschnitten und aus anderem Material. Unten musste nämlich Platz sein für die Plateauschuhe (die Buffalos). Deswegen hatten die Hosen entweder breite Beine oder unten einen Schlag. Alternativ gingen natürlich auch knappe Röcke zu Beinstulpen aus buntem Fell oder anderen auffälligen Stoffen.
Als ich alt genug war, lag die Raver-Szene bereits in ihren letzten Zügen. Das war Anfang der 00er Jahre. Trotzdem habe ich es noch auf eine Love Parade geschafft und ging noch einige Jahre auf Techno weg, bevor das große Club-Sterben einsetzte. Mehr über Techno und meine Raver-Erfahrungen erfährst Du, wenn Du auf die Collage hier klickst:
Fotoshooting 90er Jahre
Wie sieht’s aus? Reist Du mit mir in meine Vergangenheit? Bist Du vielleicht auch darin aufgewachsen? Egal, ob Nostalgietrip oder Ausprobieren des 90er Jahre Vintage-Stils: Ich wette, wir werden viel Spaß haben!
Quellen der Inspiration:
“1990er” (Meine Bildersammlung bei Pinterest)
“90er Jahre Mode” (20jahrhundert.de)
“90er-Jahre-Mode: Darum ist der Retro-Trend so beliebt – und so tragt ihr den Style jetzt” (Glamour)
“Punk, Grunge, Rave: Das Jahrzehnt der Vielfalt” (Kurier)
“Ratgeber: Die Jugendkulturen der 90er (1994)” (Blog-Artikel von 2024 mit Bravo-Artikel von 1994)
Und für Leseratten:
Black, Alexandra et al. (2021): Mode: Die visuelle Geschichte. 3000 Jahre Trends, Stile, Designer.
Präsentiert in über 2500 detailreichen Bildern. London / Delhi: DK Verlag.
Farin, Klaus (1998): Jugendkulturen zwischen Kommerz & Politik. Verlag: Thomas Tilsner.
Lehmann, Sebastian (2017): Ich war jung und hatte das Geld: Meine liebsten Jugendkulturen aus den wilden Neunzigern. München: Goldmann Verlag.